Titelverteidigung - almost...
Im Mai 2018 traf sich eine illustre Truppe herumziehender Poet*innen Baden-Württembergs in Ulm (dem schönen Ulm an der Donau) zur 9. Landesmeisterschaft im Poetry Slam. Obwohl ich ja bei weitem nicht so viel unterwegs bin (und daher auch bei weitem nicht so viele Auftritte gesammelt habe) wie meine hochgeschätzen Kolleg*innen, war es schon meine 6. BW Meisterschaft, an der ich teilnahm. Glaubt man meinen Statistiken, ist mittlerweile jeder 10 Auftritt eine Meisterschaft. Oh, weh... Ich fürchte, ich sollte mehr trainieren...
Während ich nach der Eröffnungsshow am Donnerstag nachts wieder nach Hause fahren musste, weil ich am nächsten Tag um 7:30 Uhr wie gewohnt zur Arbeit musste, konnte ich nach meiner Halbfinalrunde am Freitagabend dann endlich in Ulm bleiben. Es war wie jedes Mal eine tolle Zeit mit entspannten Menschen, einem Wettbewerb jenseits von wirklichem Konkurrenzdenken (Ich denke, jeder freut sich schon, wenn er weiterkommt oder gar gewinnt, aber man gönnt es eben auch allen anderen) und ich merke dann immer, wie gut es mir geht, wenn ich mich mit Menschen austauschen kann, die eben auch schreiben, sich Gedanken machen, etc. Das ist schön.
Mit jeder verstreichenden Meisterschaft stellt sich aber immer mehr die Erkenntnis ein, dass Meisterschaften durch Startreihenfolgen entschieden werden. Das ist bedauerlich, aber eben Teil des Konzepts. Alle Antretenden wissen es, die Veranstalter bemühen sich, um maximale Gerechtigkeit und doch bleibt eben das Glück oder Pech des Startplatzes bestehen. Meine ersten 4 Meisterschaften jammerte ich vorbildlich über mein Startplatzpech. Im letzten Jahr endete dies dann (abgesehen von den Deutschen Meisterschaften, da belege ich noch immer treffsicher Startplatz 1) und auch in diesem Jahr hatte ich (man kann es nicht anders sagen) unverschämtes Startplatzglück. Wie weit soetwas zu tragen versteht, zeigt sowohl das Halbfinale als auch dann das Finale. Aufgrund meines Umzugs und vielen neuen Aufgaben, blieb einfach keine Zeit und Kraft, um wirklich vorausschauend zu arbeiten und kreativ zu sein (zudem erschien die "Erna", die natürlich und zum Glück einen Großteil meiner Kreativität brauchte). Gleichzeitig wuchs der Druck der Titelverteidigung, der an sich ja völlig irrig ist, da ja sowohl der Titelgewinn im letzten Jahr eine Sensation war, als auch noch niemand den Titel verteidigen konnte. Es ist einfach Slam und nicht die Champions League. Dennoch wollte ich mich nicht blamieren, es widerstrebte mir als Titelverteider angekündigt zu werden und dann so zu performen, dass sich das Publikum fragt, was da im letzten Jahr wohl loswar. Doch die Tage wurden weniger und die Meisterschaft rückte immer näher und es fehlte an noch Texten - mind.2.
Man sollte eine Bühne nur betreten, wenn man auch etwas zu sagen hat...
Mein Credo schien dieses Jahr mein eigenes Urteil zu werden, aber was sollte ich tun? Ich konnte ja schlecht die Meisterschaft eine Woche vor Beginn absagen, am besten noch mit der Begründung: Ich habe nichts Brauchbares geschrieben. Also versuchte ich, mir zu überlegen, was mich zur Zeit bewegt und merkte, dass ich das meiste schon in Texten verpackt hatte und griff schließlich auf das letzte Mittel zurück. Die schamlose Öffnung und Darstellung meines Innersten - nicht im Sinne von Empfindungslyrik, sondern die pure Verzweiflung im Angesicht der aktuellen Situation dieser Welt - also irgendwo schon auch Empfindungslyrik - nur ohne Lyrik. Während ich diesen ersten Text ("Nicht müde werden...") wenigstens noch einmal vor der Meisterschaft vor Publikum lesen konnte (Danke Wehwalt für die Spontantität), feierte ich mit meinem Finaltext Textpremiere auf der Meisterschaft. Ja, wer nichts hat, kann auch nichts verlieren. Angetreten mit dem Mut der Verweiflung, aber eben mit dem Glück der Startreihenfolge gelang es trotz Neulingstext, bis ins Finale Stechen vorzudringen und schließlich den Vizetitel 2018 (zusammen mit Marius Loy) zu erringen. Gratulation an den Gewinner Daniel Wagner.
Titelverteidigung - almost...
Was bleibt also: Vor allem die Erkenntnis, dass die Poet*innen in Baden-Württemberg auf Augenhöhe schreiben und dass dann oft nur die Reihenfolge der Texte den Ausschlag gibt, wer das Rennen macht.
Das ist zum einen sehr schön (Niveau eben), zum anderen, weiß man dann eben auch, dass der Erfolg auf einer zufällig ausgelosten Reihenfolge beruht.
Man kann den erfolgreichsten Text des Jahres haben und dennoch Pech.
Man kann mit einem Text Premiere feiern und eben Glück haben.
So ist es eben.